Nehmen Sie's mit H - wie Humor
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe Eltern, liebes Kollegium, liebe Freunde des Corvinianum!
„ABIlutismus – wenn der Adel geht“. Ein griffiges und sehr eingängiges Motto hat sich unser 18er-Abiturjahrgang gegeben – allerdings auch eines, das sich nicht so einfach interpretieren lässt. Zugegeben, der „Abilutismus“ ist recht naheliegend: Absolutismus mit Abitur. Und so stehen Sie heute, liebe Abiturienten, prächtig ausstaffiert wie absolutistische Herrscherinnen und Herrscher, absolut im Mittelpunkt des Geschehens.
Aber schon der „Adel“ ist ein unglaublich vielschichtiger Begriff. Um diesen umfassend zu deuten – historisch, politisch, soziologisch, wirtschaftlich, literarisch, philosophisch, heraldisch und und und... da hätten wir Sie alle locker mit einer zweiten Facharbeit versorgen können.
Schauen wir nur einmal auf die Adligen in unserer heutigen Gesellschaft: Die einen wirken tüchtig bei den Staatsgeschäften mit, die anderen sind wirtschaftlich überaus erfolgreich; manche widmen sich den schönen Künsten oder ihren exklusiven Hobbies, wieder andere haben eine rein repräsentative Funktion – und noch andere sorgen für reichlich Schlagzeilen und Skandale... Hier muss ich in der Tat feststellen, dass der Begriff „Adel“ gut zu Ihrem bunten, vielseitigen Jahrgang passt.
Dennoch bleibt „Adel“ (das Wort ist mit dem Adjektiv „edel“ verwandt) natürlich etwas Exklusives: Bereits die Geburt eines adligen Sprösslings wird mit viel Aufmerksam-keit bedacht – und tatsächlich wurde Ihr Jahrgang schon vor der Geburt weltweit gefeiert: Sie sind die berühmten Millennium-Babys, die um die Jahrtausendwende das Licht der Welt erblickten – und die jetzt ihre Volljährigkeit erreichen. Unser Adel geht also – aber wo geht er hin? Weg von der Schule, hinein ins richtige Leben, hinaus in die Welt, in die Lehre, an die Uni, auf die Suche, an die Arbeit, in den Urlaub? In jedem Fall fängt der wahre Weg hier erst an... Sie merken schon, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, dass man den vielfältigen Lebensentwürfen unserer Abiturienten nicht auf einfache Weise gerecht werden kann. Daher möchte ich hier – wie in einem Kaleidoskop – verschiedene Bilder aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unseres Adels nebeneinander stellen, und ich hoffe, dass für jede und jeden von Ihnen etwas Passendes dabei sein wird.
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, vor vielen Jahren haben Sie Ihre Schulzeit mit dem ABC begonnen – und heute lassen wir diese Zeit ebenfalls mit einem ABC ausklingen: Unser Corvi-Adel von A... bis Z!
A wie „Adel verpflichtet“: Es ist geschafft: Durch die bestandene Abiturprüfung sind Sie geadelt – und können sich nun als stolzes Mitglied eines „Bildungsadels“ verstehen. Aber jetzt warten auch die anspruchsvolleren und die verantwortungsvolleren Aufgaben auf Sie: Ihre besonderen Fähigkeiten, welche Sie bei uns bewiesen haben, müssen Sie weiterentwickeln, um sie schließlich an der richtigen Stelle für unsere Gesellschaft einzusetzen. An welcher Stelle, das werden Sie in den nächsten Jahren hoffentlich herausfinden. Ihr „Adel“ ist ein Privileg und zugleich eine Aufgabe fürs Leben!
B wie Brötchen und Bananen: Ihre Hauptspeise während der Abiturklausuren.
C wie Corvinianum: Nun ist es soweit und Sie verlassen es endgültig: das Corvi! Über eine lange Zeit haben Sie das Corvi geprägt – im Unterricht und besonders auch außerhalb des Unterrichts mit Ihren vielseitigen musikalischen, künstlerischen, schauspielerischen und sportlichen Talenten. Doch das Corvi steckt auch in Ihnen: Mindestens acht Jahre war es ein wichtiger Bestandteil Ihres Lebens. Sie haben allerlei positive und negative Erfahrungen bei uns gesammelt. Mögen Sie von all diesen Erfahrungen profitieren!
D wie Dienerschaft: Ein Adliger, der was auf sich hält, ist natürlich von einer Schar fleißiger Diener umgeben. Sie erleichtern ihm den Alltag und erfüllen seine großen und kleinen Wünsche. Und tatsächlich: Smarte Computer, die sich als Telefon oder als Schreibtäfelchen tarnen, aber auch Figuren wie Siri oder Alexa drängeln sich danach, Ihr Leben bequemer zu machen – und meistens klappt das auch, weil die netten Helferlein Sie einfach wahnsinnig gut kennen... Mit dem alten Seneca möchte ich Ihnen zurufen: Vorsicht! Das ist eine Falle! Achten Sie darauf, wer Herr und wer Sklave ist... normalerweise sollte der Sklave den Herrn bedienen. Prüfen Sie also genau, wenn Ihr geschätztes Smartphone mal wieder Ihre Zeit und Aufmerksamkeit fordert: Wer bedient hier eigentlich wen?
E wie Elternhaus: Der ganze Stolz eines jeden Adligen, inklusive Stammsitz und Familienwappen. Für Sie alle ein wichtiger Rückhalt in den letzten Jahren – nicht nur, was ein warmes Bett und einen vollen Kühlschrank angeht. Hier gab es seelische und moralische Unterstützung, hier wurde mit Ihnen gefiebert, gezittert, auch gelitten und schließlich gejubelt. Wenn Sie sich nun königlich feiern, vergessen Sie nicht ein paar kräftige Salutschüsse auf das Wohl Ihrer Eltern!
F wie Freundschaften: Manche waren schon da, als Sie ins Corvi eintraten – andere haben sich während dieser Zeit erst gebildet: Die Freundschaften wurden für Sie eine entscheidende Motivation, in die Schule zu kommen. Sie alle wissen selbst am besten, was Sie gemeinsam erlebt und durchgemacht haben, wo Sie zusammen gelacht oder geflucht haben (und wenn es nur um die ungenutzte Studienzeit oder die Plastik-Rennwagen aus den Ü-Eiern ging). An dieser Stelle also: Ein Hoch auf die Freund-schaften! Ich hoffe, es gelingt Ihnen, viele davon auch künftig zu erhalten.
G wie Grippewelle: Vor den winzigen Viren sind Adlige und Bürgerliche gleich. Und so haben Sie in diesem Frühjahr einen neuen Schulrekord mit Nachschreibterminen aufgestellt – und einige einen persönlichen Rekord mit vier Nachschreibklausuren innerhalb weniger Tage.
H wie Halbleer oder Halbvoll: Die Umfrage in Ihrem Adels-Journal zeigt auffällig Ihre erfreulich optimistische Grundhaltung (neben einigen sehr kreativen Alternativ-Antworten). Und wenn Ihr Glas in einer Lebenslage doch einmal erschreckend leer ausschaut, dann nehmen Sie’s auch mit H – wie Humor!
I wie Innerer Schweinehund: Ihr treuer Begleiter in den letzten Jahren, besonders in den Klausurenblöcken, während der Facharbeit und natürlich bei der Abiturvorbereitung. Sie sind an ihm gewachsen und haben ihn schließlich überwunden und vom Hof gejagt. Aber seien Sie nicht traurig: Wenn Sie Ihre nächste Aufgabe in Angriff nehmen, ist er schnell wieder da.
J wie Jahrgangsversammlung: Ein buntes Treiben wie auf den Reichstagen zur Zeit des Absolutismus: Dutzende Stände vom höchsten bis zum niederen Adel, dazu kaiserliche Gesandte und Vertreter der Freien Reichsstädte mussten gemeinsam ihre Interessen abgleichen und tragfähige Kompromisse finden. Das war nicht einfach und erforderte vor allem Geduld...
K wie Klassen- und Kursfahrten: Zur Zeit des Absolutismus waren die jungen Adligen Trendsetter, was das Reisen angeht: Mit ihren Bildungsreisen zu den Fürstenhöfen und in die Hauptstädte Europas legten sie den Grundstein für den modernen Kulturtourismus. Wie die Chronisten berichten, nutzten die jungen Leute diese Fahrten aber auch für verschiedene erotische und alkoholische Abenteuer... Unsere Abiturienten dagegen sind nach dem 2015er-Schock der ausgesetzten Klassenreisen fahrtenmäßig dann doch noch auf ihre Kosten gekommen und durften unterwegs zahlreiche Höhepunkte ihrer Schulzeit erleben.
L wie Lehrpersonal: Frei nach Friedrich dem Großen möchte ich bekennen: Ich bin der erste Diener meiner Schüler. Als überzeugte Absolutisten konnten Sie auch uns Lehrerinnen und Lehrer als Teil Ihrer ergebenen Dienerschaft betrachten. Wir haben Ihnen geschmackvoll angerichtete Bildungsinhalte serviert, aus denen Sie sich Ihr ganz persönliches Menü auswählen durften (auch wenn es vielleicht nicht immer gemundet hat). Aber wir haben Ihnen hoffentlich auch vermittelt, dass Sie auf Ihrem weiteren Weg auf zwei Dinge niemals verzichten sollten: Eigeninitiative und Selberdenken.
M wie Mottotage: Die Vorliebe für prächtige und ausgefallene Kostüme ist immer schon ein Marken-zeichen des Adels gewesen – das haben Sie im vergangenen Schuljahr aufs Neue bewiesen. Von Kaiser Wilhelm II. ist überliefert, dass er an manchen Tagen bis zu fünfmal die Uniform gewechselt hat. Nun waren Ihre Mottotage weniger militärisch orientiert, dafür aber umso farbenfroher.
N wie Nachprüfungen: Machen wir uns nichts vor: Sie haben es wirklich spannend gemacht. Gnadenlos. Bis zum Schluss.
O wie Original: Ein Adliger wird zunächst einmal als Vertreter seines Standes betrachtet. Sie alle sind aber deutlich mehr: Jede und jeder von ihnen ist ein unverwechselbares Original – mit einzigartigen Eigenschaften und Fähigkeiten, Stärken und Schwächen. Wir werden jedes dieser Originale vermissen, und nicht nur, weil Ihre Stühle in Kursen oder AGs leer bleiben... Seien Sie weiterhin originell, zeigen Sie Persönlichkeit und denken Sie daran: Zu einem wirklichen Original gehören auch Fehler und Schwächen...
P wie Pleiten, Pech und Pannen: Das diesjährige Mathe-Zentralabitur.
Q wie Queen Mary: Einem Jahrgang von Adel steht natürlich eine echte Königin vor, die über sein Wohlergehen wacht und seine Geschicke leitet: Ihre Queen „Mary“ Strahl! Auch wenn sie des öfteren not amused war über das Verhalten mancher ihrer Adligen, hat sie dennoch immer hinter jedem und jeder Einzelnen gestanden. Nun geht Queen Mary mit Ihnen, liebe Abiturienten – vergessen Sie nicht, sich zum Abschied vor Ihrer Königin zu verneigen!
R wie Revolution: Was der Adel traditionell am meisten fürchtet – doch halt: Während Ihrer Zeit am Corvi haben Sie gleich mehrere Revolutionen überstanden. Erstens eine architektonische: Von den alt-preußischen Gebäuden 3 und 4 zum modernen Multifunktionsgebäude inklusive Bibliothek und Mensa... Zweitens eine technische: Als Sie vor langer Zeit ins Corvi eintraten, standen Smartboards, Schul-W-LAN und Moodle noch in den Anfängen – heute sind sie selbstverständlich... Drittens eine bildungspolitische: der fliegende Umbau des Gymnasiums von G9 auf G8 – mit anschließender Restauration zurück auf G9. Und zuletzt hat sich sogar Ihr heißgeliebter „Schnabel“ revolutionär verändert... Die Chancen stehen also gut, dass Sie auch künftig mit allen Arten von Revolutionen zurechtkommen werden.
S wie Sekretariat: Ohne seinen treuen und tüchtigen Sekretär wäre er politisch nur ein halber Mensch gewesen, soll der adlige Otto von Bismarck rückblickend gesagt haben. Glücklicherweise wurden unsere Adligen bei ihrem langen Weg durch den Schuldschungel von einem nicht weniger tüchtigen Sekretariat unterstützt. Sie bekamen Hilfe in allen Lebenslagen und immer ein freundliches Wort mit auf den Weg. Ein dickes Dankeschön an die fleißigen und liebenswerten Sekretärinnen!
T wie Tugenden: Als Vertreter des Adels werden Sie vermutlich einmal Führungspositionen einnehmen. Dazu benötigen Sie – zumindest nach antiker Auffassung – die vier Herrschertugenden (auch Kardinaltugenden genannt): Klugheit, Gerechtigkeit, Standhaftigkeit und Selbstbeherrschung. Und auch wenn die moderne Management-Theorie diese vier mit irgendwelchen pseudo-englischen Wörtern bezeichnet, gilt doch unverändert: Wer sich selbst nicht im Griff hat, kann schlecht andere Menschen führen. Als adlige Führungskraft müssen Sie also immer wieder dazu bereit sein, an sich zu arbeiten... das wird anstrengend, und sich selbst können Sie am allerwenigsten etwas vormachen.
U wie Unterrichtsbeginn: Hier zeigte sich das absolutistische Selbstverständnis etlicher Personen Ihres Jahrgangs: „Der Staat bin ich! Der Unterricht beginnt erst, wenn ich da bin.“ Dummerweise hatten viele Lehrer schon angefangen, wenn Sie eingetroffen sind – darüber haben Sie aber in der Regel gnädig hinweggesehen.
V wie Völlig losgelöst: Das ist es, was „Absolutismus“ wörtlich bedeutet: losgelöst von den Gesetzen sahen sich die damaligen Herrscher unabhängig von jeder weltlichen Macht. Mit dem Abi lösen Sie sich nicht nur von der Schule, sondern auch nach und nach von Ihrem Elternhaus, viele auch von ihrem Wohnort. Haben Sie den Mut, die erforderlichen Schritte dieser Loslösung zu gehen...
W wie Wohnung: Die standesgemäße Unterkunft eines Adligen ist doch sicherlich ein Schloss... Ja, aber anders als gedacht: Unter Ludwig XIV. beispielsweise musste das riesige Schloss Versailles mehrfach erweitert werden, um die vielen Adligen aufzunehmen, die zum wichtigen Königshof strebten. Zahlreiche adlige Personen waren daher in winzigen Kammern mit sehr bescheidener Einrichtung untergebracht. Ein Trost für Sie, liebe Abiturienten, wenn Sie demnächst für Ausbildung oder Studium auf wenigen Quadratmetern in einer angesagten Schwarmstadt hausen. Dann können Sie fröhlich schreiben: „Wir wohnen hier wie die Adligen am Hofe von Versailles!“
X wie Xenokratie: Die Fremdherrschaft oder Fremdbestimmung durch die Schule ist nun zu Ende: Ab jetzt entscheiden Sie selbst, wie Ihr Leben weitergeht. Hier dürfen Sie sich wirklich wie absolutistische Herrscher fühlen und das Regiment über Ihre Vita ganz allein in die Hand nehmen. Herrschen Sie weise und milde!
Y wie Yolo: You only live once – offenbar das Lebensmotto eines nicht kleinen Teils unseres Adels... Dagegen möchte ich Ihnen heute zurufen: YOGO – You only go once!
Z wie Zukunft: Scheinbar endlos liegt sie vor uns, niemand weiß genau, was sie bringt, manche können sie gar nicht erwarten: die Zukunft. Aber rasend schnell verwandelt sie sich in eine kurze Gegenwart und dann in Vergangenheit, auf die wir keinen Einfluss mehr haben (schreibt wieder einmal Seneca).
Bevor auch mein Auftritt hier zur Vergangenheit gehört, möchte ich Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute wünschen. Machen Sie etwas daraus, finden Sie Ihren persönlichen Weg und beginnen Sie das Leben, das zu Ihnen passt. Behalten Sie uns in guter Erinnerung und schauen Sie – als adliger Staatsgast – gern mal wieder bei uns vorbei. Wir rollen Ihnen auch einen roten Teppich aus, wenn Sie einen mitbringen. Vielen Dank!
Text, Stechmann