Meine Gedanken schenken dir einen blauen Himmel

Der Stoff passte wunderbar zu den jungen Schauspielerinnen der Theater-AG Zündhölzer unter der Leitung von Henning Bruns: Irmgard Keun schrieb ihren zweiten Roman im Alter von 27 Jahren. Die 18-jährige Hauptfigur Doris zieht ins Berlin der Weimarer Republik und möchte dort etwas erleben. Eine Rolle also, die jungen Abiturientinnen unmittelbar vor dem Start in die Berufsausbildung geradezu auf den Leib geschrieben zu sein scheint.
 
 
Mit Floriane Walther, Sarah-Jane Messerschmidt, Johanna Gierk und Karoline Otte stellten gleich vier Abiturientinnen die Rolle der Doris dar. Alle wurden der feinsinnigen Poesie, die Irmgard Keun der Figur in ihrem Tagebuchroman in den Mund legt, mehr als gerecht. Sie erweckten den meist monologischen Text geschickt und facettenreich zum Leben und schufen zahlreiche berührende Momente. Doris spricht am Ende den Satz "Meine Gedanken schenken dir einen blauen Himmel". Auch der Zuschauer bekam diesen blauen Himmel geschenkt.
 
Originalmusik und Bildmaterial erhöhten die atmosphärische Dichte der Inszenierung. Simon Kuhn bewältigte dazu professionell alle Herausforderungen rund um Licht und Technik. Der P5-Kurs von Claudia Seidel setzte dezente Großstadttupfer und verdichtete die Atmosphäre weiter.
 
Rubi Leuze, die ebenfalls ihre Abschiedsvorstellung bei den Zündhölzern gab, brillierte als demente Oma mit Durchblick und wunderbar im Roten drehender Regisseur. Alle lieferten entzückende Nebenrollenauftritte ab. Exemplarisch seien genannt Karolines starker, maskuliner Auftritt als reicher Mann "Onyx" und als ominöser Verkäufer, Johannas Auftritt als devote bis gestresste Sekretärin, Florianes Auftritt als indischer Geschäftsmann und Sarah-Janes Darbietung einer resoluten Mutter auf dem Bahnhof.
 
Die drei Darsteller, die den Zündhölzern erhalten bleiben, trösten über die fünf Weggänge etwas hinweg, denn auch sie konnten absolut überzeugen: Luise Polzin bot eine starke, entschlossene Dorispartie, den anderen Darstellungen ebenbürtig. Als deutscher Geschäftsmann und in anderen Männerpartien zeigte sie ihr vielseitiges Spiel. Tabea Herbst unterhielt als taffe Sicherheitschefin, als sympatische Betrunkene oder als cooler Verkäufer. Hauke Voßler überzeugte in verschiedenen Männerrollen, die er jeweils ganz unterschiedlich ausgestaltete. Sein flüssiges, immer präsentes Spiel schließt zu seinen hohen Qualitäten als Moderator auf und war wichtiger Gegenpart im Darstellerinnen-Team.
 
Die komödiantische Rahmenhandlung um eine Familie am Bahnhof, eine mehr oder minder vermisste Oma und  einen ominösen Verkäufer bildete einen wohltuend luftigen Gegenpol zur ernsteren Darbietung des literaturhistorischen Stoffes. Die Überleitungen zwischen den Zeitebenen auf einer Sitzbank vor der Bühne, auf dem die Rollenwechsel jeweils begannen und endeten, indem jeweils Doris´ Buch gefunden wurde, gelang ebenso klar wie verblüffend einfach. Insgesamt bot sich den Zuschauern eine zwar lang andauernde, aber immer wieder berührende Aufführung mit Witz und sehr viel Poesie.
 
Text und Bilder: Wolff
 
Einen HNA-Artikel zur Aufführung gibt es in der Presseschau.

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