kai gogo char! = Du bist ein gutes Mädchen!

Am 10. August, also vor gut eineinhalb Monaten bin ich, Elisabeth Urban, in meinen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst in Georgien gestartet. Ich habe mich schon richtig gut eingelebt, genieße jeden neuen Tag und bin mit meiner Wahl, nach dem Abitur ein Jahr in Georgien zu leben mehr als zufrieden!

 

Crash-Kurs Georgisch in Tiflis

Wir sechs Georgien-Freiwillige von Brot für die Welt haben die ersten Wochen zur Eingewöhnung gemeinsam in Georgiens Hauptstadt თბილისი (Tbilisi, dt. Tiflis) verbracht. Es stand täglich Georgisch-Sprachunterricht auf dem Programm und nachmittags haben wir Tbilisi erkundet. Der თბილისის წმინდა სამების საკათედრო ტაძარი (Thbilisis cminda samebis sakathedro tadzari = Heilige Dreifaltigkeits-Kathedrale von Tbilisi oder kurz: Sameba-Kathedrale, s. Foto)) ist z.B. die Hauptkirche Georgiens  (d.h. hier feiert der Patriarch Gottesdienste) und gleichzeitig die größte Kirche der georgisch-orthodoxen Kirche. Sie wurde erst 2004 eingeweiht und sie ist echt riesig – vor allen Dingen im Vergleich zu den eher kleinen und ärmlichen Häusern um die Kirche herum. Auf dem Flohmarkt war beeindruckend, was man dort alles kaufen konnte: von Schmuck, Geschirr, CDs, Videokassetten über Gemälde, Seidenschals, Zahnarztbesteck bis hin zu Schwertern, Gasmasken, Soldatenuniformen und Abzeichen aus dem Krieg…

 

Im Bummelzug nach Ozurgeti

Mitte September machte mich dann auf die Reise: Mit dem langsamen Zug (wohlgemerkt der langsame Zug – der schnelle Zug braucht nur halb so lang… ;-)) ging es geschlagene acht Stunden bei schwül-heißem Wetter bis nach ოზურგეთი (Ozurgeti). Glücklicherweise konnte man im Zug, der noch aus Sowjet-Zeiten stammt, die Fenster öffnen und den frischen Fahrtwind und den Ausblick auf die herrliche Landschaft genießen!

Meine Organisation, bei der ich für das nächste Jahr arbeiten werde, ist die NGO  ახალგაზრდა პედაგოგთა კავშირი (Achalgasrda Pedagogta Kawschiri) oder auf Englisch Young Pedagogues‘ Union. Neben dem Bürgerbewusstsein junger Menschen fördert meine Organisation die Demokratisierung von Schulen, indem sie mit Partnerschulen zusammenarbeitet und Fortbildungen für Lehrer anbietet, und unterstützt sozial benachteiligte Gruppen. Dazu betreibt sie ein Altersheim für Senioren, welche sonst obdachlos wären, und ein sogenanntes Small Group Home. Dieses ist ein Kinderheim ähnlich einem SOS- Kinderdorf für Kinder und Jugendliche, die Waisen sind oder nicht zu Hause bleiben können, weil die Eltern gewalttätig sind oder trinken. Dort leben derzeit drei Jungen und drei Mädchen im Alter von 12 bis 16 Jahre mit ihren Pflegeeltern zusammen. Ich werde für das nächste Jahr in eben diesem Small Group Home leben.

 

Tschame, Elisabeth, Tschame

Dort bekam ich die berühmte Gastfreundschaft der Georgier erst richtig zu spüren: Ich darf gefühlt nichts selber machen. Beim Auspacken meines Koffers standen mir gleich zwei fleißige Helfer zur Seite; wenn ich mir zum Frühstück einen Stuhl aus dem Esszimmer in die Küche holen möchte oder wenn ich beim Essen einen Nachschlag haben möchte und aufstehe, um in die Küche zu gehen, springt gleich jemand auf und erledigt das für mich. Also von der Gastfreundschaft der Georgier könnten sich einige Deutsche ein Scheibchen abschneiden… ;-) Immer wenn ich esse (ob zu Hause oder auch bei einem Snack in der Organisation) höre ich jedes Mal mehrmals ჭამე, ელისაბედ, ჭამე! (Tschame, Elisabeth, tschame! = Iss, Elisabeth, iss!). Im Haus ist immer etwas los, da häufig auch die Nachbarskinder (hier sind alle Altersstufen vom Kleinkind bis zum 20-Jährigen vertreten) zu Besuch sind, sodass ich nie die Möglichkeit habe, dass mir irgendwann mal langweilig werden sollte… J

 

Das „richtige“ Georgien

Ozurgeti ist zwar nur eine kleine Stadt mit ca. 20 000 Einwohnern (und die Hauptstadt der im Westen Georgiens liegenden Region გურია (Gurien)), aber ich finde es sehr schön hier! Ich lebe in einem schönen Haus mit Garten und die gesamte Stadt ist ziemlich grün. Man kann die Berge sehen und die Landschaft ist sehr schön. Und die Menschen sind klasse! Sie sind in Georgien dafür bekannt, sehr humorvoll zu sein und schnell und emotional zu reden. J Wenn ich jemandem als deutsche Freiwillige vorgestellt werde, ist das erste was alle sagen: კაი გოგო ხარ! (kai gogo char! = Du bist ein gutes Mädchen!). Tbilisi ist im Gegensatz zu den ländlichen Regionen ziemlich westlich – laut meinem amerikanischen Mitfreiwilligen lerne ich hier das „richtige“ Georgien kennen. ;-)

 

I wish that it would be like that in Georgia

In den ersten beiden Wochen habe ich schon an verschieden kleinen „Projekten“ gearbeitet. Ich habe z.B. mit meinem amerikanischen Mitfreiwilligen Englisch-Unterricht für 5- bis 8-Jährige vorbereitet, den wir zusammen ab Oktober gestalten sollen und wir haben Ideen für Themenabende im multikulturellen Café, das hier bald eröffnet werden soll, gesammelt. Außerdem habe ich mir schon ein paar Gedanken zum georgisch-deutschen Schüleraustausch gemacht, den ich wenn möglich organisieren soll, und einen kleinen Vortrag über das deutsche Schulsystem für meine beiden Kollegen aus der Schul-Demokratisierungskomponente gehalten. Am Ende sagte mein Kollege so etwas wie: „That’s interesting and very good! I wish that it would be like that in Georgia as well but it is just a dream. On paper it should be like that as well but in reality it is different.” Auch wenn man es ja eigentlich schon vorher wusste, wird einem in solchen Momenten erst richtig bewusst, was man für ein Glück hatte, z.B. so eine gute Schulausbildung zu genießen (auch wenn man das frühe Aufstehen, jeden Morgen verteufelt hat – hier in Georgien beginnt die Schule übrigens erst um 9.30 Uhr ;-)). Da ist es doch super, dass es Menschen gibt, die versuchen, die Umstände in den Schulen zu verbessern, jungen Menschen bürgerliche Bildung beizubringen und sich um sozial benachteiligte Menschen kümmern!

 

Im Gottesdienst wird gestanden

In meiner Freizeit bin ich meistens zu Hause und spiele mit den Kindern Karten, probiere mich auf Georgisch zu unterhalten, gucke Filme mit den anderen (auf Georgisch – entsprechend viel verstehe ich…), lese usw. Wir waren auch schon beim Fußballspiel der hiesigen Mannschaft მერცხალი (Merts-chali) gegen ლიახვი (Liachwi). Im Theater von Ozurgeti waren wir schon zwei Mal: Das Theater ist sehr schön und einer der größten Georgiens. 2005 wurde es vom Kulturministerium und der Theater-Arbeiter-Union zum besten regionalen Theater Georgiens erklärt. Wir haben uns უილიამ შექსპერის (Uiliam Scheksperis = William Shakespeares) აურზაური არაფრის გამო (aursauri arapris gamo = Viel Lärm um nichts) und მაკბეტი (Makbeti = Macbeth) angeschaut. Es war sehr lustig, auch wenn ich nichts verstanden habe – naja, das wäre gelogen: Ich habe vielleicht jeden dritten Satz ein Wort verstanden… ;-) Mit zwei meiner Gastschwestern war ich auch schon in einem georgisch-orthodoxen Gottesdienst. Das war sehr interessant und ganz anders ein evangelischer oder katholischer Gottesdienst. Es gibt z.B. keine Kirchenbänke und man steht die ganze Zeit, Frauen müssen einen Rock und ein Kopftuch (es reicht, ein Tuch locker über den Kopf zu legen) tragen und es gibt ziemlich viele Ikonen in den Kirchen, die geküsst werden oder für die Blumen mitgebracht werden, um nur einige Unterschiede zu nennen.

 

Georgisch, Deutsch, Englisch und Französisch

Der Teil meines Gehirns der für die Sprachen zuständig ist, läuft im Moment auf Hochtouren: Mit meiner Organisationsmentorin, meinen Mitfreiwilligen, und Freunden / Familie in Deutschland spreche bzw. schreibe ich auf Deutsch. Eine Mitarbeiterin kann noch ein kleines bisschen Deutsch, also läuft es auf ein Mischmasch aus Georgisch und Deutsch hinaus. Mit den amerikanischen Freiwilligen und einem Mitarbeiter, der ganz gut Englisch spricht, rede ich Englisch. Ein anderer Mitarbeiter und eine meine meiner Gastschwestern können ein bisschen Englisch, sodass ich mit ihnen ein Mischmasch aus Georgisch und Englisch spreche. Der Rest meiner Gastfamilie und der Kollegen kann nur Georgisch oder höchstens ein paar Wörter Englisch – für sie müssen also meine paar Brocken Georgisch reichen oder Zeichensprache, ein Wörterbuch oder Google-Übersetzer müssen aushelfen… Meine Georgisch-Lehrerin hier in Ozurgeti kann nur Französisch, d.h. meine Französisch-Kenntnisse muss ich auch noch auspacken. Da kann man schon einmal durcheinkommen, wen man jetzt in welcher Sprache ansprechen kann… :-D Ich hoffe, dass sich meine Georgisch-Kenntnisse schnell verbessern, sodass ich mich besser unterhalten kann, aber man bemerkt einen kleinen Fortschritt. Ich habe die Hoffnung also noch nicht aufgegeben – Übung macht den Meister! ;-)

In diesem Sinne bis zum nächsten Mal und viele Grüße aus Ozurgeti!  Elisabeth Urban 30.09.15

Zurück