Wir haben nicht vergessen und wir wollen nicht vergessen
17. Februar 2025
Marvin Beier, Julia Huang und Britta Lürig aus der Klasse 10m haben im Stadtarchiv in Northeims Geschichte geforscht und in einer Ansprache am Entenmarkt zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz die Spuren des nationalsozialistischen Terrors in ihrer Heimatstadt offengelegt.
Auschwitzbefreiung vor 80 Jahren
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Am 27. Januar, vor drei Wochen, fand am Entenmark hinter der Schauburg der alljährliche Gedenktag der Befreiung Auschwitz‘ vor rund 80 Jahren statt. Um die 100 Menschen versammelten sich um 18 Uhr dort, um der Opfer des Holocausts zu gedenken.
Der stellvertretende Bürgermeister Holger Lambrecht eröffnete mit einer sehr berührenden Rede die Gedenkveranstaltung. Danach durften wir, Marvin Beier, Julia Huang und Britta Lürig aus der 10m, unseren Text vorlesen. Dafür hatten wir einige Wochen zuvor das Northeimer Stadtarchiv besucht und uns durch mehrere Bücher und Artikel gearbeitet. Die erschreckenden Informationen, die wir dort fanden, versuchten wir so gut wie möglich in unsere Rede einfließen zu lassen, um die Eindrücke vom Leben damals bildlich zu erklären, und zu erläutern, wie es möglich gewesen sein konnte, dass die NSDAP, die Partei Hitlers, in Northeim so gut fußfassen konnte.
Anschließend wurde ein Blumenkranz auf das Denkmal gelegt. Zuletzt begann die Menschenmenge einer nach dem anderen kleine Steine auf das Denkmal zu legen, währenddessen herrschte Schweigen - Schweigen für die Opfer des Holocausts.
Die Rede im Wortlaut:
Gegen das Vergessen
Wir alle stehen hier heute am Entenmarkt. Heute, am 27. Januar 2025. Vor 80 Jahren befreiten alliierte Soldaten das Konzentrationslager Auschwitz in Polen. Und wir alle sind der gleichen Meinung. Nämlich, dass dieses Verbrechen, begangen von deutschen Nationalsozialisten, niemals in Vergessenheit geraten darf. Genau aus diesem Grund ist „Gegen das Vergessen" auch der Titel unserer heutigen Rede.
Hier, im Herzen Northeims.
Wir haben nicht vergessen und wir wollen nicht vergessen. Wir wissen, was damals geschah, auch in Niedersachsen, auch hier, in unserer Stadt Northeim. Wir wollen heute den Opfern gedenken. Ihnen wirklich gedenken und den Respekt erweisen, den sie verdienen. Für viele, die den Holocaust nicht am eigenen Leib erleben mussten, ist dieses schreckliche Verbrechen unvorstellbar. So unvorstellbar, dass es nur als ein abstraktes Thema, das mal in der Schule im Geschichtsunterricht behandelt wurde, in den Köpfen vieler Leute existiert. Natürlich haben wir alle die grausamen Bilder von damals gesehen und sicherlich haben einige von uns auch schon einige Museen, Ausstellungen oder ein damaliges Konzentrationslager besucht. Dennoch fehlt vielen von uns die Kraft, das Wissen, oder auch einfach das Verständnis für dieses menschenunwürdige und schreckliche Handeln der Nationalsozialisten, um zu begreifen, was damals wirklich passiert ist.
Genau das galt auch für uns, bis wir im Stadtarchiv genauere Details über einige Opfer des Holocaust erfahren durften. Wir möchten Sie bitten, einmal tief in sich zu gehen. Stellen Sie sich vor, Sie leben im Jahr 1935, hier, in Northeim, einer Kleinstadt in Südniedersachsen, im Herzen von Deutschland, nicht viel anders als heute. Die politische Lage ist jedoch eine ganz andere. Sie selbst merken noch kaum etwas von den menschenfeindlichen Vorgängen. Sie sehen nur die rauschenden Paraden in der Breiten Straße. Sie hoffen, dass dies ja vielleicht doch der Ausweg von all Ihren politischen Befürchtungen ist. Schließlich haben die Nationalsozialisten mittlerweile die Macht über Deutschland und, ja, auch über Northeim.
Jetzt stellen Sie sich vor, Sie gehören einer jüdischen Familie an. Ihre Arbeit können Sie seit kurzem nicht mehr ausüben; vielleicht sind Sie Viehhändler oder Kaufmann, wie einige der jüdischen Minderheit hier. Sie haben in den letzten Monaten vieles Schreckliches erlebt und Sie sehen einfach kein Ende. Was sollen Sie also tun? Antisemitismus gehört mittlerweile zu Ihrem Alltag. Sie werden oft benachteilt und minderwertig behandelt. Einige andere jüdischen Familien, darunter auch einige Ihrer Freunde, werden verschleppt, sind plötzlich einfach weg und einige andere fliehen aus Northeim, ihrer Heimat und ziehen in die verschiedensten Winkel der Erde, um der Gewalt zu entkommen.
Diese Schicksale mussten viele Menschen hier in Northeim erleben.
Aber, wie konnten die Nationalsozialisten in Northeim überhaupt so erfolgreich werden?
Um das verstehen zu können, müssen wir noch weiter in die Geschichte Northeims zurückblicken. In Northeim gab es damals schon lange zwei große politische Lager, die stark verfeindet waren und das politische Klima in Northeim immer wieder aufgeheizt haben. So gab es damals das große Lager der Sozialdemokraten und das ebenso große Lager der politischen Rechten, welche sich als Anti-Sozialdemokraten verstanden und oft auch antisemitische bis nationalsozialistische Ansichten vertraten. Durch dieses durchaus aufgeheizte Klima in Northeim in Kombination mit den vielen politischen Krisen zur Zeit der Weimarer Republik und der damaligen Wirtschaftskrise, die viele Menschen verunsicherte und für viele tatsächlich eine echte wirtschaftliche und finanzielle Gefahr bedeutete, war gerade Northeim das perfekte Ziel für Extremisten. Das nutzte die NSDAP natürlich aus.
Aber, sie war nicht die erste extremistische Organisation, die die Lage Northeims für sich nutzte und so sehr erfolgreich wurde. So gab es u.a. den Jungdeutschen Orden, welcher seine Northeimer Kreisbruderschaft vermutlich schon im Jahre 1920 gründete. Der Jungdeutsche Orden war hier durchaus erfolgreich und viele der politischen Rechten Northeims waren Mitglied oder zumindest Unterstützer des Jungdeutschen Ordens. Entsprechend schnell verbreitete sich der Jungdeutsche Orden in jeglichen Ortschaften im Landkreis.
Die NSDAP hatte wenige Jahre später ähnlich einfaches und erfolgreiches Spiel in Northeim. Sie erfuhr kaum Widerstand, sondern bekam teilweise sogar Unterstützung von den politischen Rechten, die große Hoffnungen in die Nationalsozialisten und die NSDAP setzten. Und das hier, in unserer schönen Stadt Northeim.
Nun möchten wir abschließend noch einige Namen der Northeimer Holocaust-Opfer verlesen. Es sind weit nicht alle, aber
wenigstens einige, die uns während unserer Recherchen besonders oft ins Auge fielen:
Ida Neuburger, geb. Rosenbaum, geb. 1876
Edith Katz, geb. 1933
Max Katz, geb. 1900
Ilse Katz, geb. Cohnheim, geb. 1903
Johanne Blumenthal, geb. Rosin, geb. 1898
Jonas Blumenbaum, geb. 1872
Jenny Blumenbaum, geb. 1878
Diese unschuldigen Northeimer und viele weitere sind dem Holocaust zum Opfer gefallen.
Heute stehen wir hier und gedenken ihnen, zollen ihnen den Respekt, den sie verdienen und tragen somit dazu bei, dass diese Gräueltaten niemals in Vergessenheit geraten. Ganz im Sinne unseres Titels „Gegen das Vergessen" und ganz im Sinne des ewigen Schwurs der Deutschen: das klare und deutliche „Nie wieder!" zu einer nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Text: Marvin Beier, Julia Huang und Britta Lürig; Foto: Wolff