Bedrückende Konfrontation mit deutscher Geschichte
Die 10. Klassen besuchen die KZ-Gedenkstätte Dora-Mittelbau bei Nordhausen. Winter, Kälte, die Dunkelheit unter Tage und ein hellsichtiger Tourguide verstärken das Exkursionerlebnis zu einer bedrückend-nachhaltigen Erfahrung für die Teilnehmer. Eine Reportage von Levin Kiel und Merle Berner, 10c…
Als wir mit den Bussen das Gelände der KZ-Gedenkstätte erreichen, bietet sich uns ein bizarres Bild. Reiner, weißer, in der Sonne strahlender Schnee bedeckt das gesamte Areal, auf dem so vielen unschuldigen Menschen Leid und Tod begegnete. Dabei ist nicht mehr viel vom Konzentrationslager erhalten: Nur noch einige verschneite Grundrisse, ein paar Mauern und Fundamente, sowie das Krematorium sind übrig geblieben. Sie lassen nur noch schwer auf die dunkle Vergangenheit dieses Platzes schließen.
Unser Weg führt zuerst zu einem Neubau, der unter anderem eine Dauerausstellung beinhaltet, in welcher unter anderem viele Einzelschicksale genauer beleuchtet werden.
Wir werden von unserem Tourguide Jan Lormes begrüßt, der uns freundlich, aber bestimmt mahnt, sich der Gedenkstätte entsprechend anständig, ruhig und gesittet zu verhalten. Anschließend führt er uns über das weitläufige Gebiet zu einer Wohnbaracke, die exemplarisch für die vielen nicht mehr vorhandenen rekonstruiert wurde.
Schon nach wenigen Minuten an der frischen Luft zeigen sich erfreute Gesichter, als wir den unangenehm kalten Minusgraden in den beheizten Innenraum entfliehen können, welcher als Gruppenarbeitsraum dient. Wir sollen in einem Stuhlkreis Platz nehmen und Jan erklärt, was der Beweggrund dafür ist, das ehemalige KZ als Gedenkstätte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen:
Mittelbau Dora stehe exemplarisch für die Geschichte der Zwangsarbeit während der NS-Zeit und die Verbrechen, welche damals an den Menschen verübt wurden. Die Gedenkstätte solle die Bevölkerung mahnend an die damaligen Geschehen erinnern und schaffe gleichzeitig einen Platz, an dem die Betroffenen und Opfer des Nationalsozialismus trauern und Abschied nehmen können.
Danach steigen wir selbst tiefer in die Geschichte des Mittelbau-Dora ein, indem wir die Kopien alter, originaler Fotos, Karikaturen und Skizzen betrachten, welche teils von Nationalsozialisten und teils von Häftlingen beziehungsweise Überlebenden des Lagers angefertigt wurden.
In einer ausführlichen Besprechung bekommen wir dann das erste Mal eine genauere Vorstellung über die Grausamkeiten und Verbrechen, die an über 60.000 Menschen hier begangen wurden und die Unzähligen das Leben kostete. Es herrscht eine bedrückte Stimmung, als wir mit alledem konfrontiert werden und wirklich jeder ist froh darüber, während besserer Zeiten zu leben.
Nach etwas mehr als einer Stunde geht es wieder nach draußen. Wir frieren in unseren Jacken und können uns kaum die Situation der Häftlinge vorstellen, welche damals in dünnster Kleidung und häufig ohne Schuhe auch bei noch schlechterem Wetter morgens und abends zum Appell, oft sogar für mehrere Stunden, antreten mussten. Währenddessen wurden sie durchgezählt und für die Arbeit eingeteilt. Als wir den Weg zum Krematorium antreten, schließt sich um uns ein lichter Wald. Viele junge Bäume haben sich das Gebiet zurückerobert, auf dem früher die Wohnbaracken standen; auch sie tragen dazu bei, dass es einem schwerfällt, mehr als nur eine harmlose Landschaft in diesem Ort zu erkennen. Wir erreichen das Krematorium. Ein geschöntes Wort für das, was es eigentlich mal war. Eine Menschen-Verbrennungsanlage. In diesem kleinen Haus aus gelbem Backstein ließen die Nazis ab Herbst 1944 mehr als 5000 Tote von anderen Lagerhäftlingen verbrennen. Insgesamt fielen mehr als 20.000 Menschen der Arbeit und den Bedingungen im Lager zum Opfer.
Mulmig ist uns zumute, als wir das Krematorium betreten und die bunt bemalten Wände des Vorzimmers erblicken. Männer der SS hatten die Häftlinge, die im Krematorium arbeiteten, dazu angewiesen, sie bunt zu verzieren, mit der perfiden Absicht, sich am Leid der Arbeiter zu erfreuen. Diese fristeten ihr Dasein damit, ihre Kameraden zu verbrennen. Auch beim Anblick der zwei Verbrennungsöfen überläuft einige ein Schaudern.
Nur einer der Öfen war damals allerdings in Betrieb und hatte seine weiße Asche über das Landstück verteilt. Zwischen Inbetriebnahme und Befreiung des Mittelbau-Dora soll der Ofen durchgehend gebrannt haben.
Einen weiteren Einblick in die Grausamkeiten des Lagers gibt uns ein Zitat des Überlebenden Stéphane Hessel, der bis 2013 lebte: "Da unser Krematorium überlastet war, wurden Scheiterhaufen errichtet um die Leichen dort aufzuschichten. Wir haben den Tag damit verbracht, an mit Blut und Exkrementen verschmierten Kleidern zu zerren, kaltes Fleisch zu berühren. Das reine, absolute Entsetzen."
Mittelbau-Dora war anders als zum Beispiel Auschwitz kein reines Vernichtungs-, sondern ein Arbeitslager. 'Vernichtung durch Arbeit!', so lautete der inoffizielle Grundsatz. Während des Zweiten Weltkrieges wurde der bis dahin als Öllager für die Wehrmacht dienende unterirdische Stollen, an dem das Lager errichtet worden war, von ungefähr 10.000 Lagerhäftlingen um- und ausgebaut. Mehrere tausend Männer starben bereits während dieser Maßnahmen. Die Überlebenden mussten auch nach Fertigstellung des Stollens Untertage bleiben und an der errichteten Produktionsstraße für V2-Raketen arbeiten.
Später wurden dort in Kooperation mit mehreren Rüstungsunternehmen, aber auch freiwilligen deutschen Ingenieuren und Arbeitern V1-Flügelbomben und Messerschmitt-Düsenstrahlflugzeuge produziert. Die Arbeit im Unterirdischen mit der ständigen Belastung durch Unterernährung und dem Fehlen sanitärer Anlagen kostete viele erst den Verstand und dann das Leben in oftmals nur vier bis acht Wochen.
Genau an diesen Ort werden wir jetzt geführt. Eine feuchtkalte, klamme und dunkle Atmosphäre umfängt uns die ersten 200 Meter. Man erkennt nur schwer, wo man seinen eigenen Fuß überhaupt hinsetzt, die Luft ist dick und das Atmen fällt alles andere als leicht.
1947 wurde der Eingang der Stollenanlage von sowjetischen Truppen versprengt, doch heute ist er wieder durch einen Zusatztunnel begehbar. Der größte Teil des Stollens ist eingestürzt, dennoch reichen uns die vier bis fünf sichtbaren Prozent, um uns ein ungefähres Bild des Ausmaßes von damals machen zu können. Ein Modell vermittelt die Größe des einstigen Stollens, bevor wir uns auf den Weg tiefer unter den Berg machen. Während der erste Teil des Tunnels noch geräumt ist, stoßen wir von unserem Weg aus schon nach einigen Metern immer häufiger auf Überreste der Raketenfertigung. Große Stahlteile, gefühlt halbe Raketen liegen umher, rostendes Material und vermodertes Holz unter unseren Füßen. Am Ende des gesicherten Weges stehen wir auf einer kleinen Plattform, während unter uns das Grundwasser zurück in den Gang gesickert ist.
Erst auf dem Rückweg erblicken wir die in regelmäßigen Abständen in die Wände eingelassenen Nischen, die teilweise noch mit Backstein gemauert sind. Es handelt sich um Toiletten und Waschräume, die extra für die deutschen freiwilligen Arbeiter erbaut wurden, während die Häftlinge nicht einmal Zugang zu Frischwasser hatten.
Gemeinsam verlassen wir den Stollen wieder und genießen förmlich die zwar eisige, aber immerhin frische Luft, die uns draußen entgegenschlägt. Eine Freiheit, die die Zwangsarbeiter nicht hatten. Wir verlassen das Gelände der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora in Gedenken an die Menschen und ihre Angehörigen, die dem Nationalsozialismus zum Opfer fielen.
Text: Levin Kiel, 10c
Bilder: Merle Berner, 10c