Spiel aus Leidenschaft

Bahnwärter Thiel. Eine Lebensgeschichte, die unter die Haut geht, präsentiert vom DS-Prüfungskurs des Q2-Jahrgangs

Thiel ist gutherzig, liebenswert, rechtschaffen. Er heiratet Minna aus reiner Liebe und bekommt mit ihr ein Kind. Doch das Familienglück der drei währt nicht lange. Minna stirbt, und Thiel ist mit seinem Kind allein. Dem Kind soll es nie schlecht ergehen. Thiel sucht sich eine neue Frau, die sich um das Kind kümmern kann. Allerdings gerät er an das herrschsüchtige Weib namens Lene, was ihm jeglichen Eigensinn austreibt und ihn gänzlich abhängig von ihr macht. Das Kind akzeptiert Lene nicht als seine neue Mutter, was fatale Konsequenzen hat. Lene missbraucht das Kind und treibt es mit Prügeln indirekt in den Tod. Thiel schaut bei aller Gewalt weg und passt nicht auf sein Kind auf, weil er in Gedanken nur um Minna trauert. Nach dem Tod seines Kindes bringt diese Thiel dazu, den Mord an Lene zu planen. Um das Vernachlässigen seines Kindes wieder gutzumachen und damit seinem Versprechen doch noch gerecht zu werden, ermordet er seine zweite Frau.

Was bringt einen Menschen dazu, dass er seine Rechtschaffenheit ablegt, um zu einem Mörder zu werden? Diese Frage arbeiteten wir aus der Novelle „Bahnwärter Thiel“ von Gerhart Hauptmann heraus und stellten sie beim Erarbeiten des Stückes in den Vordergrund. Der Prüfungskurs des jetzigen Abiturjahrgangs versuchte herauszufinden, wie viel Verlust, Unterdrückung, Sehnsucht, Verdrängung und Illusionen ein Mensch ertragen kann. Außerdem erfuhren wir die Zerrissenheit eines Menschen, der zwei verschiedene Arten von Liebe durchlebt. Die Liebe zwischen Thiel und Minna hat etwas Wahrhaftiges und Reines, wohingegen Lene Thiel für sich beansprucht und als ihr Eigentum ansieht.

Als Darsteller versetzten wir uns im Laufe der Proben immer tiefergehend in unsere jeweiligen Charaktere hinein und erfuhren auf diesem Wege durchaus auch die Entwicklungen, die unsere Figuren im Stück durchliefen. Mit näher rückendem Aufführungstermin wuchs im Kurs die Leidenschaft für das Bühnenprojekt und mit ihr der Ehrgeiz, die Adaption erfolgreich und für das Publikum mitreißend umzusetzen, was uns letztlich auch gelungen ist.

Am Premierenabend führten wir vor ungefähr 225 Zuschauern auf, die eine etwa 60-minütige intensiv gespielte Inszenierung geboten bekamen. Zuschauer weinten beim Monolog des vernachlässigten Kindes, in dem es sich nach Papa und Mama sehnt. Sie lachten bei den kontrastbildenden Dorfszenen, die das Geschehen im Rampenlicht, aber auch hinter dem Vorhang kommentierten. Das Publikum wurde bei der dargebotenen Familientragödie durchgehend emotional berührt. Lob für die Aufführung gab es für unseren Kurs hinterher von vielen Seiten: Alle Darsteller seien im Laufe der Oberstufe in ihrer Bühnenpräsenz sowie in ihrem fokussierten und authentischen Spiel gewachsen. Erwähnenswert ist außerdem, dass es keinen für den Zuschauer auffälligen Technikfehler gab. Auch wir als Darsteller wurden am Ende als Gegenleistung vom Publikum berührt: beim Applaus gab es von allen Zuschauern Standing Ovation. Ein verdienter Lohn für unsere wochenlangen Mühen.

Text: Zoe Lüddecke

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