Durchs Unterrichten habe ich das Meiste gelernt

20. Juni 2024

Gaby Rudolph ist seit 2002 Lehrerin für Kunst und Deutsch am Corvi. Jetzt wurde sie in den Ruhestand verabschiedet. Das zugewandte Lächeln ist ihr Markenzeichen. Ihre fachliche Kompetenz, ihr ausgewogenes Sachurteil und ihre kollegiale Hilfsbereitschaft werden dem Corvi fehlen...

Angekommen im Leben
Das Referendariat war für Gaby Rudolph wie ein großes Ankommen: Im Beruf, aber auch im Leben. Endlich konnte sie etwas sein nach der jahrzehntelangen Ausbildung in Schule und Uni. Und sie traf 1986 in Bremen auf ein zugewandtes Kollegium. Gerne ließ sie sich fachlich fordern, denn Kunst und Deutsch hatte sie studiert, weil sie diese beiden Fächer so mochte. „Durchs Unterrichten habe ich das Meiste gelernt“, sagt sie.
 
Für die eigene künstlerische Praxis fehlt die Muße
Heute weiß sie: Die Kunst hätte besser ihr Hobby bleiben sollen. Im Lehrerinnen-Job finde ich keine Muße mehr für die eigene künstlerisch Tätigkeit, ich probiere allenfalls etwas aus, was ich den SchülerInnen im Unterricht zeigen will.Auch der „Verwertungsblick“ beim Besuch von Kunst-Ausstellungen, d.h. das Prüfen, ob und wie etwas für den Unterricht zu gebrauchen sein könnte, stört manchmal den Genuss.
 
Eine heilsame Erfahrung
machte Gaby Rudolph dann nach dem Referendariat. Da es keine Lehrerstellen gab, unterrichtete sie unter anderem ein Jahr lang Erwachsene, die sich auf das Abi vorbereiten wollten. In der selbstverwalteten Einrichtung hatten alle die gleiche Stimme, so wurde kurzerhand die Anwesenheitspflicht abgeschafft, weil die „Schüler“ es mehrheitlich so wollten. Noten gab es sowieso nicht. „Ich habe kein einziges fertiggestelltes Bild bekommen, weil die Verbindlichkeit fehlte und ich merkte: So funktioniert Schule nicht.“
 
Welch ein Glück: Eine Stelle in Kenia
Die Bewerbung auf ein nur zufällig gelesenes Stellenangebot an der deutschen Schule in Nairobi erwies sich als ganz großes Glück in der damals aussichtslosen Situation für junge Lehrer/-innen. „Noch heute wundere ich mich über meinen Mut“, sagt Gaby Rudolph, denn die Stelle war auf zwei Jahre befristet, sie war Berufsanfängerin, die einzige Kunstlehrerin an der Schule und obendrein gab es keine Schulbücher für das Fach Kunst. Sie nutzte stattdessen Zeitschriften, die die Gäste aus Deutschland mitbrachten, als Material und Anregung. Eine jährliche Schulausstellung mit den besten Ergebnissen im Goethe-Institut im Zentrum Nairobis war für viele Kinder ein großer Ansporn, im Kunstunterricht Besonderes zu leisten und ein Kontakt zu einer kenianischen Galerie machte es möglich, auch an einem außerschulischen Lernort mit einigen Schülergruppen zu arbeiten.
 
Die 250 Schülerinnen und Schüler waren Kinder von Diplomaten, Beschäftigten verschiedener großer Firmen und Institutionen, die in Ostafrika tätig waren, und von Missionaren. Voraussetzung, diese Schule zu besuchen, war das Beherrschen der deutschen Sprache, aber nicht wenige der Schüler und Schülerinnen kannten Deutschland nur von Besuchen in den Ferien. Das war manchmal ein Problem beim Lesen von deutscher Literatur, die sich meist auf Lebenserfahrungen in Deutschland bezieht.
 
Nicht nur beruflich war der Wechsel nach Ostafrika ein Glücksfall für Gaby Rudolph, sondern auch privat, denn sie lernte dort einen jungen Mathematik- und Physiklehrer namens Joachim kennen, der sich auf die gleiche Stellenausschreibung beworben hatte.
 
Zurück in Deutschland
1992 gab es endlich wieder Lehrerstellen in Deutschland, die Hessen stellten als erstes Bundesland neue Lehrer ein. Die Rudolphs kehrten zurück und arbeiteten sieben Jahre an verschiedenen Schulen. Für die 60 km Distanz suchten sie sich einen Wohnsitz in der Mitte und zogen nach Darmstadt. Vor dem Hintergrund ihrer dreijährigen Afrikaerfahrung war vieles plötzlich ungewohnt: ein fast erschlagendes Warenangebot, ganz saubere Geldscheine, langweilige Ampeln statt kreativer Verständigung durch Handzeichen. Ehemann Joachim bewarb sich erneut für den Auslandsschuldienst. Gaby Rudolph verzichtete auf eine eigene Bewerbung, um sich um Elias mmern zu können, der 1996 zur Welt gekommen war. Schließlich klappte es 1999 mit der Bewerbung dann doch und die Rudolphs gingen noch einmal ins Ausland.
 
Drei Jahre Buenos Aires
Die 14-Millionen-Metropole war ganz anders als Nairobi, ein enormer Straßenverkehr, insgesamt deutlich europäischer, italienisch geprägt; die freie Natur Stunden an Fahrtzeit entfernt. Krasse gesellschaftliche Unterschiede waren aber auch hier zu spüren: Die einen gingen zum Pferderennen oder spielten Polo, die anderen hielten ihre Familien mit dem nächtlichen Sammeln von Altpapier über Wasser.  Aber was ich ausgesprochen positiv fand: Man traf sich viel öfter und lockerer als hierzulande, sonntags z.B. in einem städtischen Park, um Tango zu tanzen, darunter auch ältere Menschen.“
 
Einladung ans Corvi
2002 kamen Gaby und Joachim Rudolph auf Einladung von Helga Olejnik, der damaligen Schulleiterin des Corvi, nach Northeim ans Gymnasium. „Ich habe in Niedersachsen in den letzten 20 Jahren erlebt, wie sehr ständige Kursänderungen das kontinuierliche Arbeiten erschwert haben. Die Abschaffung der Orientierungsstufe 2004, die Einführung des Zentralabiturs in Kunst und Deutsch, die Umstellung auf die eigenverantwortliche Schule mit individuellem Schulprogramm, Änderung der Lehrpläne: Ständig sei etwas Neues gekommen. Auch das Corvi hatte einiges an Unruhe zu bieten: Die Sperrung von Gebäude 0 wegen Asbest, Umzug des Lehrerzimmers in die kleine Sporthalle, dann aber schließlich die Sanierung des in die Jahre gekommenen Schulgebäudes durch den Landkreis und damit ein weiteres Mal ein Lehrerzimmer in der Sporthalle.
 
Rettungsanker im fordernden Schulalltag wurde für Gaby Rudolph Achtsamkeitstraining und Yoga, mittlerweile mehrfach in der Woche. Ihr Ziel dabei: Sich im eigenen Körper gut zu fühlen.
 
Kreativität in Gefahr
Nach 38 Jahren Lehrerinnenleben geht Gaby Rudolph zum Schuljahresende 2023/24 in den Ruhestand. Welche Bilanz zieht sie? „Ich sehe die Kreativität in Gefahr. Die Schülerinnen und Schüler haben keine Zeit mehr und unabhängige Eigentätigkeit findet zudem durch Allgegenwärtigkeit technischer Geräte kaum noch statt.“ Man überlegt nicht mehr selbst, wie man eine Aufgabenstellung gestalterisch bewältigen könnte, sondern sucht an erster Stelle nach „Inspiration“ im Netz. Die Pädagogik sieht sie in der Pflicht, den Kindern die Unabhängigkeit zurückzugeben und zu einer kontrollierten Nutzung technischer Geräte zu befähigen.
 
Positive Energie am Corvi
„Mir fällt auf, dass vielen Schülern der kritische Blick für Anspruch abhandengekommen ist.“ Man klopfe sich stattdessen schnell auf niedrigem Niveau selbst auf die Schulter und rufe nach Lob, anstatt sich davon unabhängig zu machen und auch mal eine Durststrecke auszuhalten und Kritik als etwas zu sehen, was uns weiterhilft.
 
Fehlen wird ihr das, was nach ihrem Empfinden das Lehrerinnendasein am Corvi von Anfang an ausgemacht hat: Das Kollegium und die positive Energie im Lehrerzimmer.
 
Text, Fotos: Wolff

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