Das Gefühl, richtig gefordert zu sein

Emilia Fritz hat acht Vorentscheide gewonnen und darf sich als Drittplatzierte im Berliner Finale jetzt "Bundessiegerin Jugend Debattiert" nennen. Am 26. September debattiert sie mit Stephan Weil und anderen Spitzenkandidat:innen. Selbstbewusst sitzt sie mir gegenüber. Wir haben uns zum Gespräch getroffen, weil mich interessiert, wie der Wettbewerb sie verändert hat, wie sie jetzt auf Schule blickt.

 
Am Anfang fast schon wieder vorbei
Es gehört auch Glück dazu. Fast wär es mit dem Schulfinale nämlich schon aus gewesen. In ihrer Finaldebatte gab es überraschend Publikum, Emilia war sehr nervös und sie mochte einem Freund und Mitdebattanten nicht ins Wort fallen, als es eigentlich nötig war. Prompt verlor sie im Finale. Dann kam das Glück zurück und sie konnte nachrücken ins Regionalfinale, denn jemand war kurzfristig ausgefallen. Schulkoordinator-Jugend-Debattiert Sven Jahnscheck schlug dann ausgerechnet die spätere Bundessiegerin Emilia als Nachrückerin vor. Der Rest ist Geschichte.
 
Diskutieren ohne Sachkenntnis - nein danke!
Emilia mag es gar nicht, wenn Menschen ohne Sachkenntnis Überzeugungen vertreten, womöglich auch noch emotional. An Politik hat sie aus diesem Grund eher wenig Interesse. "In solche Debatten, und die gibt es oft, mische ich mich gar nicht erst ein", gibt sie zu. Das Jugend Debattiert-Format sei da ganz anders. „Nur wenn du gut informiert bist, hast du eine Chance. Und du musst die Gegenseite entwaffnen, also ihre Argumente widerlegen. Das gefällt mir."
 
Wie läuft eine Debatte ab?
Contra-1 ist dementsprechend ihre Lieblingsposition. "Da bist du die erste, die auf Gesagtes reagieren kann."
 
Eine Debatte bei Jugend debattiert besteht aus drei Teilen:

In der Eröffnungsrunde beantwortet jeder Teilnehmer die Streitfrage aus seiner Sicht.

Die Freie Aussprache dauert zwölf Minuten. Die vorgebrachten Argumente werden im Wechsel von Pro und Contra ergänzt, präzisiert, sortiert und abgewogen.

In der Schlussrunde hat jeder Teilnehmer die Möglichkeit, die Streitfrage ein zweites Mal zu beantworten: Diesmal im Lichte der bis dahin geführten Aussprache.

Debattiert wird bei Jugend debattiert jeweils zu viert: Zwei Personen beantworten die Streitfrage mit "Ja" und sprechen sich für die gefragte Maßnahme aus ("pro"), zwei antworten mit "Nein" sprechen sich gegen die Maßnahme aus ("contra"). Einen Gesprächsleiter gibt es nicht.
(https://www.jugend-debattiert.de/aktuelles/faq)
 

Emilia hat schon auf allen Positionen debattiert. Pro-2 liege ihr auch, sagt sie, weil man dort ebenfalls frisch auf die ersten Contra-Argumente reagieren könne. Contra-2, ihre Position im Bundesfinale, sei dagegen wenig attraktiv, man könne lediglich "aufräumen" mit Argumenten, die Contra-1 übergelassen habe. "Im Bundesfinale war gut für mich, dass die Absprachen mit Anna (spätere Zweitplazierte, Contra-1 Position), wer welche Argumente bringt, hervorragend gelaufen sind." Die Pro-1-Position findet Emilia schwierig, man rede als Erste und müsse auch noch den genauen Rahmen für die Debatte abstecken. "Im Schulfinale war ich zu aufgeregt, um diese zugeloste Pro-1-Position flüssig rüberzubringen."

Richtig Rückenwind
Mit der Regionalqualifikation in Göttingen begann dann eine beispiellose Kette von Erfolgen. Für Emilia war das zunächst überraschend, obwohl sie weiß, dass sie mit ihrer Neugier für Sachverhalte, ihrer eher extrovertierten Art und Neigung zum Reden durchaus wichtige Fähigkeiten mitbringt. "Die Sicherheit kam erst, als ich merkte, dass die anderen auch ihre Schwierigkeiten hatten. Da merkst du dann, dass du doch was kannst." Dass Regional- und Landesfinale unaufgeregt im online-Format durchgeführt wurden, kam ihr entgegen.

Ins Schwärmen kommt Emilia, wenn sie von den mehrtägigen Seminaren und Schulungen spricht. "Du wirst von ehemaligen Landes- und Bundessiegern betreut, von persönlichen Rhetoriktrainern gecoacht und das in einem Team von Leuten, die alle etwas erreichen wollen. Das bringt dich richtig voran." Sie lernte Grundlagen der Rhetorik in zahlreichen Trainingsdebatten mit den Landessieger:innen und Zweitplatzierten aller Bundesländer. "Das positive Feedback gibt dir richtig Rückenwind."

Ausbildung zum Jugend-Debattiert-Coach
Das Programm rund um das Bundesfinale in Berlin war dann nochmal eine besonders intensive Erfahrung. "Gefühlt war das ganze Hotel komplett mit Jugend-Debattiert-Leuten gefüllt, da waren viele Alumnis da (ehemalige Bundesfinalist:innen), mit denen es gemeinsame Unternehmungen gab."

Anfang September 2022 gab es für Bundessieger:innen, also die bundesweit besten Acht des Jahrgangs, eine siebentägige Akademiewoche im Kloster Volkenroda. Es ging darum, die Top-Debattant:innen zu Coaches in den zukünftigen Regionalsiegerseminaren auszubilden. Moderation, Jurieren und Redenhalten stand auf dem Programm. Für Emilia das eigentliche Highlight des ganzen Wettbewerbs. Der intensive Kontakt führte zu tiefen Freundschaften.

Jugend Debattiert mit Spitzenkandidat:innen
Emilia möchte die neugewonnen Fähigkeiten nutzen: Die frischgebackene Jugend-Debattiert-Botschafterin freut sich auf neue Tätigkeiten als Jurorin und Coach der nächsten Regionalsieger:innen. Am 26. September 2022 darf sie ab 15 Uhr mit politischen Spitzenkandidat:innen auf Landesebene im Landtag Hannover debattieren. Die Debatte wird bei nrd.de live übertragen und auf YouTube bereitgestellt.
 
Blick auf Schule hat sich verändert
Zurück am Corvi in Jahrgang 11 bekommt sie sehr viel Aufmerksamkeit als Bundesfinalistin. Das auszuhalten, fällt ihr schwer, lässt sie aber auch bewusster im Unterricht agieren. Zugleich versteht sie jetzt auch, warum der Unterricht sie nie so richtig packen konnte. "Vor allem seit der Akademiewoche weiß ich, dass gute Noten für mich kein so attraktives Ziel sind wie das Gefühl, wirklich gefordert zu sein. Die mit dem Wettbewerb verbundene Form der Bestätigung können Noten einfach nicht leisten."
 
Text, Foto: Wolff

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